Freitag, 17. Oktober 2008

Fromm sein reicht nicht: ein Tag mit den Gottsuchern

Herr Künzel von der Nürnberger Zeitung schrieb in der Ausgabe vom 17. Oktober 2008 einen Artikel über das Propädeutikum:

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Interversion der Nürnberger Nachrichten


Im Bamberger Priesterseminar

Fromm sein reicht nicht: ein Tag mit den Gottsuchern

Wie kannst Du denn heute noch Priester werden?» Diese Frage hat Florian Sassik oft zu hören bekommen in den vergangenen Jahren. Jahre waren das, in denen Orte wie Riekofen traurige Berühmtheit erlangten; die katholische Kirche von Missbrauchsfällen erschüttert wurde. Jahre, die schwer genagt haben am Image der Kirche und ihrer Gottesmänner. Jahre, in denen aber auch Sassiks Entschluss gereift ist, selbst Priester zu werden.

Ein «schleichender Prozess» sei das gewesen, erzählt der 26-Jährige aus Weißenohe beim Frühstück im Bamberger Priesterseminar. Nach Jahren bei der Sparkasse in Forchheim hat der frühere Ministrant und Pfarrgemeinderat gemerkt: «Es gibt noch mehr, als Bausparer und Lebensversicherungen zu verkaufen.» Am Bamberger Spätberufenenseminar Theresianum holte Sassik das Abitur nach. Seit Ende September lebt er nun im Priesterseminar am Main-DonauKanal. Zusammen mit 20 anderen Priesterkandidaten aus den ostdeutschen Bistümern, aus Speyer und den drei nordbayerischen Diözesen Bamberg, Würzburg und Eichstätt absolviert er die ersten Wochen des neu geschaffenen Propädeutikums – eines einjährigen Vorkurses vor Beginn des Theologiestudiums.

Der Tag beginnt an diesem frühen Herbstmorgen in der kleinen Kapelle, wie jeder Tag für die 21 Priesterkandidaten. Wirkte das Bamberger Seminargebäude von außen noch mächtig und ehrfurchtgebietend, einschüchternd gar, distanziert, wie auf viele die ganze Kirche, so ist drinnen, frisch renoviert, alles licht und hell. Modern ist der kleine Andachtsraum, und dennoch einladend heimelig. Regens – so heißt das Amt des Seminarleiters – Martin Emge zelebriert hier mit zwei Alumnen aus Berlin und dem Frankenwald die kurze Morgenmesse. Ein Dritter aus Görlitz spielt die Orgel.

«Lasst uns loben, Brüder, loben Gott den Herrn, der uns erhoben und so wunderbar erwählt», singen die jungen Priesterkandidaten. Nichts wirkt aufgesetzt, eine geheiligte Atmosphäre liegt in dem schlichten Raum.

Diese jungen Männer entziehen sich den üblichen Klischees, das wird dem protestantischen Laien, der einen Tag lang bei ihnen zu Gast sein darf, schnell klar: Einer von ihnen zitiert im Glaubenskurs am Nachmittag einen philosophischen Denker nach dem anderen. Dabei sieht er aus wie einer, dem nichts wichtiger scheint, als seinen muskelbepackten Körper in Schuss zu halten.

Zumindest Michael Polster, der im großen Speisesaal mit am Frühstückstisch sitzt, meint man anzusehen, dass er schon als Kind nur Priester werden wollte: schwarze Hose, weißes Hemd, grauer Pullunder – er kleidet sich ganz pastoral. Doch darüber blitzen freche wache Augen, wie sie nur ein sehr selbstbewusster 20-Jähriger haben kann.

«Mich hat es immer danach gedrängt, Priester zu werden», sagt Polster, das habe er schon in Kindergarten und Schule gespürt, wenngleich ihn der Religionsunterricht eher abgeschreckt hat. Ethik statt Glaubensinhalte, das war nichts für ihn. Derweil hat er daheim bei der Oma, ganz wie die Ratzinger-Brüder, die Messe gehalten. Eine weiße Decke über ein Tischlein, los ging’s. Der Forchheimer muss selbst schmunzeln, wenn er das erzählt. Heute ist der Papst ein Vorbild für ihn, «weil er beständig ist, nicht schwankt». Klare Werte in unberechenbarer Welt, das brauche die Jugend, sagt Polster.

Vom «Aha-Effekt» eines Berufungserlebnisses kann auch Andreas Stahl nicht berichten, der mit am Tisch sitzt. Als Ministrant und Pfarrgemeinderat in Bindlach sei er hineingewachsen in die Verantwortung. Nach dem Zivildienst bei der Evangelischen Studentengemeinde in Bayreuth musste er sich nur noch der Bedenken seiner Mutter erwehren. Während der Vater gesagt habe, «wenn Du das willst, dann mach’ das», habe sie kritisch nachgefragt, ob er nicht doch lieber eine Familie gründen wolle. «Doch das mit den Enkeln habe ich an meinen jüngeren Bruder abgegeben», sagt der 20-Jährige.

Das Zölibat sehen all die künftigen Priester als besonderen Teil ihrer Berufung, nicht als Verbot, das wird in vielen Gesprächen an diesem Tag klar. Die Fälle von Missbrauch durch manche Pfarrer haben für sie damit nichts zu tun. «Die Menschen wollen Priester», sagt Florian Sassik, «am liebsten Deutsche. Dann müssen sie auch welche geben.» So einfach ist das.

Und tatsächlich: «Ich habe den Eindruck, die Talsohle ist durchschritten», sagt Regens Emge. Waren es früher oft nur zwei oder drei Priesterkandidaten pro Jahr aus dem Erzbistum Bamberg, gab es diesmal rund zehn Bewerber. Vier von ihnen wurden aufgenommen ins Propädeutikum.

Wie die 17 anderen Alumnen, die von ihren Diözesen auf deren Kosten für ein Jahr nach Bamberg entsandt wurden, haben sie einen gründlichen Auswahlprozess hinter sich. Bei den Bewerbern aus dem eigenen Bistum ging Emge zunächst deren Motiven auf den Grund: Will hier einer nur Karriere machen? Wie steht es mit der Beziehung zu Gott, zum Glauben? Wie ist sein Bild vom Priesteramt und von der Kirche? Vor allem aber: Wie reif ist ein Bewerber? Wie wirkt er als Mensch? Ist er körperlich gesund? Oder psychisch belastet?

Gerade in Bamberg schauen sie jetzt genauer hin, nachdem dort im Sommer Missbrauchsvorwürfe gegen einen Domkapitular erhoben wurden. «Das war ein wahnsinniger Imageschaden», sagt Emge. «Offener Umgang, Stellung nehmen», so laute seine Devise, sagt der Ausbildungsverantwortliche: «Sexualität, Frauen, Pädophilie – was heißt das für uns?», darüber will er mit seinen Priesterkandidaten sprechen. Präventiv Gefahren benennen, statt mit Schuldkomplexen herumzulaufen. So sind auch Wochenend-Veranstaltungen zum Thema Sexualität geplant. Unter dem Schutz des Beichtgeheimnisses kann sich die Gruppe mit Spiritual und Seelsorger Markus Kohmann austauschen.

«Auch ein Priester muss ein Beziehungsmensch sein», sagt Emge. Ein Leben ohne Ehefrau sei noch lange kein beziehungsloses Leben. Jeder brauche ein soziales Netz. Der Regens selbst fährt mit Mitbrüdern in den Urlaub, geht mit ihnen wandern oder Karten spielen. Dazu die Beziehung zu Christus, die Gewissheit gebe, «dass einer mit mir geht». Dann könne es gelingen, ganz für die Menschen da zu sein, ist sich Emge sicher.

Jeder Priester müsse diese Lebensform aber aktiv gestalten. Denn auch für ihn sei der schöpferische Bereich sehr wichtig. Während ein verheirateter Mann eine Familie gründet, könne der Priester seiner Gemeinde Impulse geben, sein Haus für sie öffnen, Gebäude verändern, eine Messe, einen Ausflug einmal ganz neu gestalten. «Solch’ schöpferische Kraft zu entfalten, das macht gesund», ist Emge überzeugt. Sitzt der Pfarrer nur allein daheim, sei er gefährdet. Für Risiken aller Art. Auch in diesem Sinne soll das Propädeutikum «Glaubens- und Lebensschule» sein, die Kandidaten vorbereiten auf die Herausforderungen des Amtes.

Ein Wunsch des Papstes war die einjährige Verankerung dieser in mehreren Diözesen schon länger vorhandenen Einrichtung. In Passau und Bamberg lernt der bayerische Priesternachwuchs nun im Schnellkurs Latein, Griechisch, Hebräisch, damit später im Studium mehr Zeit bleibt für Theologie und Philosophie. Das war Benedikt XVI. wichtig. Stundengebete und eine Messe prägen jeden Tag. Zwei Tage in der Woche arbeiten die Kandidaten zudem in Einrichtungen der Caritas. Damit bei diesem straffen Rhythmus genug Zeit zum Lernen bleibt, werden sie rundum verpflegt. «Ich habe schon zugenommen», sagt Polster und deutet auf seinen Bauch.

Nicht allein eine Einführung ins Christentum, ins geistliche Leben und die Glaubenspraxis soll das Propädeutikum sein. «Es ist auch ein Jahr der Entscheidung», sagt Emge. Ein Jahr der Reflexion und der Vergewisserung. Eine «Gemeinschaft der Gottsuchenden» seien sie, sagte Emge morgens in der Messe. «Den Glauben gründen», das fordert er nachmittags im Glaubenskurs von seinen Alumnen: «Fromm zu sein, reicht nicht.»

Die Anforderungen an die Geistlichen nehmen in Zeiten des Priester-Mangels zu. Auch wenn die Zahl der Interessenten wieder leicht steigt – «das ist trotzdem noch zu wenig», sagt Emge. Denn im Bistum Bamberg sterben jedes Jahr etwa zehn Priester, fünf bis zehn gehen in den Ruhestand. Leitungsverantwortung, Teamarbeit, Motivation von Laien und Ehrenamtlichen sind daher gefordert. «Der Pfarrer muss nicht alles machen», sagt Emge. Doch bei Sakramenten-Spende und Seelsorge, «da muss er da sein».

«Ich vertraue darauf, dass Gott macht, was ich nicht kann», sagt Samuel-Kim Nguyen beim Mittagessen. Ganz offen erzählt der 20-Jährige von seinem Berufungserlebnis. Davon, wie ihm bei der Ostermesse in seiner Heimat Dresden «der liebe Gott in den Hintern getreten hat» – als der Bischof über Jona predigte, der ihm nicht recht folgen wollte. «Das war meine Geschichte», sagt Nguyen. Jetzt, nach langem Abwägen, war die Entscheidung endlich gefallen. «Dass Gott ganz frei beruft, ist etwas sehr Schönes», sagt Emge über solche Überraschungsberufungen.

Gottes Ruf ist für viele ganz entscheidend. Der 21-jährige Matthias Balica aus Berlin, einst syrisch-orthodoxer Christ, hat drei Monate im Kloster im Gebet geprüft, wie ernst es ihm ist mit dem, was er mit 14 das erste Mal im Herzen spürte. Nun hat er sich entschieden: gegen Familie, Haus und Geld. Für das Priesteramt.

So wie Fabian Langpaul. Als der heute 25-Jährige im Jahr 2000 knapp einem Flugzeugunglück entgangen ist, wurde ihm klar, dass es mehr gibt «als die Welt, die wir hier so sehen». Der Hotelfachmann holte das Abitur nach, spürte, «dass irgendetwas in mir ist, was mir den Weg zu Gott zeigen möchte». Doch dann passierte das, «wovor sich jeder Priesterkandidat fürchtet: Die Liebe kam ins Spiel.» Mit der ist es seit Juli vorbei, das sieht Langpaul als Fügung. Das Propädeutikum, das noch nicht so verpflichtend sei wie das Priesterseminar, nimmt er nun als Prüfung, das Leben in der Gemeinschaft kennenzulernen – und Gott.

Samuel-Kim Nguyen sagt das so: «Wer schon im ersten Semester das Brevier auswendig kann, schiebt im fünften Semester den Kinderwagen.» Und er betont: «Wir haben acht Jahre Zeit.» Um jeden Tag hineinzuwachsen in Messe und Stundengebet, mit dem auch dieser Tag endet.

Lebensfroh und keinesfalls weltfremd sind sie, diese Männer, die ihr Leben in den Dienst Gottes und der Menschen stellen wollen. «Beziehungsmenschen» sollen sie sein, hat Regens Emge über seine künftigen Priester gesagt. Das sind sie. Keine vergeistigten Eremiten, sondern leutselig, im besten, Gott und die Menschen verbindenden Wortsinn. Auf solche Priester kann die Kirche bauen. Ulrich Künzel
17.10.2008

© NÜRNBERGER ZEITUNG

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